
19 Integration
Wir wollen uns in diesem Kapitel mit dem Riemann-Integration beschäftigen. Das Riemann-Integral ist eine Methode um Flächen zwsichen der x-Achse und dem Graphen einer Funktion zu bestimmen.
Es stellt sich heraus, dass die Integration die Umkehrung der Differentiation ist.

19.1 Ober- und Untersummen
19.2 Stammfunktion und unbestimmtes Integral
Die Integration ist die Umkehrung der Differentitaion. Gegeben ist also eine Funktion f mit dem Funktionsterm f(x) und gesucht ist eine Funktion F, so dass F'(x) = f(x). Offenbar ist diese Funktion nicht eindeutig, da additive Konstanten beim Differenzieren verschwinden
\begin{align*} (F(x) + c)' = F'(x) = f(x). \end{align*}
| Funktion f(x) | Stammfunktion F(x) | |
|---|---|---|
| c | D = \mathbb{R}\; und \;c \in \mathbb{R} | cx + C |
| x^\alpha | D = \mathbb{R}\; und \;\alpha \in \mathbb{R} \setminus \{-1\} | \frac{1}{\alpha+1} \cdot x^{\alpha+1} + C |
| x^{-1} | D = \mathbb{R} \setminus \{0\} | \ln(|x|) + C |
| \mathsf{e}^x | D = \mathbb{R} | \mathsf{e}^x + C |
| a^x | D = \mathbb{R}\; und \;a \in \mathbb{R}_{>0} \setminus \{1\} | \frac{1}{\ln(a)} \cdot a^x + C |
| \sin(x) | D = \mathbb{R} | -\cos(x) + C |
| \cos(x) | D = \mathbb{R} | \sin(x) + C |
19.3 Bestimmtes Integral
Beispiel 1
Man bestimme die Fläche die zwischen x-Achse und der Funktion f(x) = 9 - x^2 eingeschlossen wird. Die Funktion schneidet die x-Achse bei x_1=-3 und x_2=3. Daher müssen wir folgendes Integral bestimmen:
\begin{align*} \int_{-3}^{3} 9-x^2\,\mathrm{d}x & = \left[9x-\frac{1}{3} x^3 \right]_{-3}^{3} \\ & = 2 \cdot \left[9x-\frac{1}{3} x^3 \right]_{0}^{3} \\ & = 2\cdot ((27 - 9) - (0 - 0)) \\ & = 36 \end{align*}
19.3.1 Übersicht
\int f(x)\, \mathrm{d}x \qquad \text{bzw.} \qquad \int_{a}^{b} f(x)\, \mathrm{d}x
| Komponente | Name | Bedeutung |
|---|---|---|
| \int | Integralsymbol | Zeigt an, dass eine Integration durchgeführt wird. |
| a | Untere Grenze | Startpunkt des Integrationsintervalls (bei bestimmtem Integral). |
| b | Obere Grenze | Endpunkt des Integrationsintervalls (bei bestimmtem Integral). |
| f(x) | Integrand | Die zu integrierende Funktion. |
| x | Integrationsvariable | Variable, über die integriert wird. |
| \mathrm{d}x | Differentialelement | Gibt an, in Bezug auf welche Variable integriert wird. |
| \int f(x)\,\mathrm{d}x | Unbestimmtes Integral | Familie der Stammfunktionen von f(x). |
| \int_a^b f(x)\,\mathrm{d}x | Bestimmtes Integral | Zahl (Flächeninhalt unter der Kurve zwischen a und b). |
19.4 Integrationsmethoden
Differentiation and Integration von xkcd
19.4.1 Partielle Integration
Die partielle Integration ist die Umkehrung der Produktregel, die aus der Differentialrechnung bekannt ist.
Seien u' und v Funktionen von einer Variablen x, dann kann man die partielle Integration für ein bestimmtes Integral schreiben als
\begin{align*} \int_a^b u'(x) \cdot v(x)\,\mathrm{d}x = \left[ u(x) \cdot v(x)\right]_{a}^{b} - \int_{a}^{b} u(x) \cdot v'(x)\,\mathrm{d}x \end{align*}
Schreibt man die Ableitungen der Funtionen in der Form
\begin{align*} u'(x) = \frac{\mathrm{d}u(x)}{\mathrm{d}x} \quad \text{bzw.} \quad v'(x) = \frac{\mathrm{d}v(x)}{\mathrm{d}x} \end{align*}
und setzt diese in die obige Formel ein, so erhält man eine äquivalkente Schreibweise, die sich in vielen Büchern findet.
\begin{align*} \int_a^b v\,\mathrm{d}u = \left[ u \cdot v\right]_{a}^{b} - \int_{a}^{b} u\,\mathrm{d}v, \end{align*}
Dabei sind die Differentiale in unserem Fall \mathrm{d}u = u'(x)\,\mathrm{d}x und analog \mathrm{d}v = v'(x)\,\mathrm{d}x.
Der Vorteil dieser Schreibweise ist, dass sie unabhängig von der Integrationsvariablen (hier x) ist.
Beispiel 1
Gesucht ist eine Stammfunktion zur Funktion g(x) = x \cdot 2^x. Dies bedeutet wir müssen das Integral
\begin{align*} \int g(x)\,\mathrm{d}x = \int x \cdot 2^x \mathrm{d}x \end{align*}
lösen.
Die Frage, die sich nun stellt, ist welcher der beiden Terme aus denen g zusammengestzt ist, das u' und welcher das v ist. Die Idee ist, dass der Ausdruck im Integral auf der rechten Seite einfacher zu integrieren sein muss als das Integral auf der linken Seite. Wählen wir
\begin{align*} u(x) = x \qquad \text{und} \qquad v'(x) = 2^x. \end{align*}
Die Funktion u wird durch diese Wahl beim Ableiten zu einer Konstanten, Exponentialfunktionen aber beim Integrieren nur einen konstanten Faktor erhalten und damit nicht komplizierter werden. Damit wird das Integral auf der rechten Seite lösbar.
Mit u'(x) = 1 und v(x) = \frac{2^x}{\ln(2)} ergibt sich.
\begin{align*} \int x \cdot 2^x\,\mathrm{d}x & = x \cdot \frac{2^x}{\ln(2)} - \int 1 \cdot \frac{2^x}{\ln(2)}\,\mathrm{d}x \\ & = x \cdot \frac{2^x}{\ln(2)} - \frac{2^x}{(\ln(2))^2} + C \\ & = \frac{2^x}{\ln(2)} \left( x - \frac{1}{\ln(2)} \right) + C \end{align*}
Beispiel 2
Betrachten wir das folgende Integral
\begin{align*} \int x^2 \cdot \textsf{e}^{x}\,\mathrm{d}x. \end{align*}
Nach der obigen Bemerkung wählen wir v(x) = x^2 und u'(x) = \textsf{e}^x. Damit ergibt sich mit v'(x) = 2x und u(x) = \textsf{e}^x
\begin{align*} \int x^2 \cdot \textsf{e}^{x}\,\mathrm{d}x & = x^2 \cdot \textsf{e}^{x} - \int 2 x \cdot \textsf{e}^{x}\,\mathrm{d}x \\ & = x^2 \cdot \textsf{e}^{x} - \left(2x \cdot \textsf{e}^{x} - \int 2 \cdot \textsf{e}^{x}\,\mathrm{d}x\right) \\ & = x^2 \cdot \textsf{e}^{x} - 2x \cdot \textsf{e}^{x} + 2 \cdot \textsf{e}^{x} + C \\ & = \textsf{e}^{x}\left(x^2 - 2x + 2\right) + C \end{align*}
Das im zu integrierenden Ausdruck vorkommende Polynom ist nach der ersten Integration nicht mehr vom Grad 2, sondern nur noch vom Grad 1. Wiederholen wir die partielle Integration ein weiteres Mal, so erhalten wir das Ergebnis.
Beispiel 3
Bei manchen Funktionen ist nicht offensichtlich, dass man die partielle Integration nutzen kann um die Stammfunktion zu bestimmen. Ein einfaches, aber sehr nützliches Beispiel ist die Integration des natürlichen Logarithmus. Da es sich erstmal nicht um ein Produkt handelt bedienen wir uns eines Kniffes und schreiben \int \ln(x)\,\mathrm{d}x = \int 1 \cdot \ln(x)\,\mathrm{d}x. Wir erhalten
\begin{align*} \mathrm{d}u = 1 \mathrm{d}x \quad \implies \quad u = x \quad \text{und} \quad v = \ln(x) \quad \implies \quad \mathrm{d}v = \frac{1}{x} \mathrm{d}x \end{align*} \begin{align*} \int \ln(x)\,\mathrm{d}x & = \int 1 \cdot \ln(x)\,\mathrm{d}x \\ & = x \cdot \ln(x) - \int x \cdot \frac{1}{x}\,\mathrm{d} x \\ & = x \cdot \ln(x) - x + C \\ & = x \cdot (\ln(x) -1) + C \end{align*}
19.4.2 Substitution
Die Substitution ist die Umkehrung der Kettenregel, die von der Differentiation bekannt sein sollte. Leitet man ein verkettete Funktion der Form f(g(x)) nach x ab, so erhält man g'(x) \cdot f'(g(x)). Aus diesem Grund schauen wir uns Integrale der folgenden Form an:
\begin{align*} \int g'(x) f'(g(x)) \, \mathrm{d}x. \end{align*}
Wir sehen, dass f und g verkettete Funktionen sind und – das ist der zweite wichtige Teil – die Ableitung der inneren Funktion, also g' außerhalb der geschatelten Funktionen stehen.
Beispiele
für Integrale, die mit Hilfe der Substitution gelöst werden können und von der obigen Form sind, wären zum Beispiel
\begin{align*} \int 4 \mathsf{e}^{-2x}\,\mathrm{d}x. \end{align*} \begin{align*} \int x^3 \sqrt{1+x^4} \,\mathrm{d}x. \end{align*} \begin{align*} \int x \cdot \mathsf{e}^{ax^2} \,\mathrm{d}x. \end{align*}
Vorgehensweise
Was machen wir nun, um eine derartige Aufgabe zu lösen?
- Der erste Schritt besteht darin die den richtigen Term zu substituieren, das bedeutet eine neue Variable einzuführen. Da der Integrand von der Form g'(x)\cdot f'(g(x)) ist die Substitution: y = g(x). Eine einfache Ersetzung der Variablen reicht noch nicht aus, da das ursprüngliche Integral bezüglich x und nicht y integriert wird. Wir benöten also noch ein Differential \mathrm{d}y, das wir aus der Ableitung von y bezüglich x erhalten:
\begin{align*} \frac{\mathrm{d}y}{\mathrm{d}x} = g'(x) \quad \text{oder} \quad \mathrm{d}x = \frac{1}{g'(x)} \,\mathrm{d}y. \end{align*}
Setzen wir beides in das ursprüngliche Integral ein, erhalten wir
\begin{align*} \int g'(x) f'(g(x)) \, \mathrm{d}x & = \int g'(x) f'(y) \frac{1}{g'(x)} \, \mathrm{d}y \\ & = \int f'(y) \, \mathrm{d}y \\ & = f(y) + C \\ & = f(g(x)) + C \end{align*}
Somit haben sich die Terme, die außerhalb der Funktion f' weg und übrig bleibt die Aufgabe die äußere Funktion f' zu integrieren.
- Nach der Integration müssen wir die Variablen resubstituieren. Das heißt wir setzen für y wieder g(x) ein.
Beispiel 1
Ein sehr einfaches Beispiel ist das folgende:
\begin{align*} \int 4 \mathsf{e}^{-2x}\,\mathrm{d}x. \end{align*}
Die verkettete Funktion ist \mathsf{e}^{-2x}, wobei y = -2x die innere Funktion ist. Damit ergibt sich
\begin{align*} \frac{\mathrm{d}y}{\mathrm{d}x} = g'(x) = -2 \quad \text{oder} \quad \mathrm{d}x = -\frac{1}{2} \, \mathrm{d}y. \end{align*} \begin{align*} \int 4 \mathsf{e}^{-2x}\,\mathrm{d}x & = \int 4 \mathsf{e}^{y}\cdot \left(-\frac{1}{2}\right) \,\mathrm{d}y \\ & = -2 \int \mathsf{e}^{y}\,\mathrm{d}y \\ & = -2 \mathsf{e}^{y} + C \\ & = -2 \mathsf{e}^{-2x} + C. \end{align*}
Beispiel 2
Das zweite Beispiel ist nun schon ein wenig anspruchsvoller.
\begin{align*} \int x^3 \sqrt{1+x^4} \,\mathrm{d}x. \end{align*}
Was man noch recht leicht erkennen kann ist, dass \sqrt{1+x^4} eine Verkettung ist, und dass x^3 bis auf eine multiplikative Konstante die Ableitung von x^4 ist. Die Aufgabe ist ein weinig schwieriger als das erste Beispiel, weil das Substituieren nicht mehr eindeutig ist: Wir könnten y = x^4 oder y = 1+x^4 nehmen (die 1 verschwindet nach dem Ableiten). Besser ist die zweite Variante, da man nach der Substitution keine Summe unter der Wurzel steht.
\begin{align*} y = 1 + x^4 \quad \implies \quad \frac{\mathrm{d}y}{\mathrm{d}x} = 3x^3 \quad \implies \quad \mathrm{d}x = \frac{1}{3x^3}\, \mathrm{d}y \end{align*}
Einsetzen liefert:
\begin{align*} \int x^3 \sqrt{1+x^4} \,\mathrm{d}x & = \int x^3 \sqrt{y} \frac{1}{3x^3}\,\mathrm{d}y \\ & = \frac{1}{3} \int \sqrt{y}\,\mathrm{d}y \\ & = \frac{1}{3} \int y^{\frac{1}{2}} \,\mathrm{d}y \\ & = \frac{1}{3} \frac{1}{\frac{1}{2} + 1} y^{\frac{1}{2} + 1} + C \\ & = \frac{2}{9} y^{\frac{3}{2}} + C \\ & = \frac{2}{9} \left(1 + x^4\right)^{\frac{3}{2}} + C. \end{align*}
Was können wir aus dem obigen Beispiel noch mitnehmen?
- Damit die Integration übersichtlicher wird, haben wir die multiplikative Konstante \frac{1}{3} vor das Integral gezogen.
- Um Wurzeln zu integrieren schreibt man diese in der Potenzform.
Beispiel 3
Ein weiteres wichtiges Bespiel für die Substitution ist das Beispiel f(x) = x \mathsf{e}^{ax^2}. Wir substituieren den Exponenten der Exponentialfunktion, da dessen Ableitung proportional zu dem x vor der Exponentialfunktion ist. Es ergibt sich damit:
\begin{align*} y = ax^2 \quad \implies \quad \frac{\mathrm{d}y}{\mathrm{d}x} = 2ax \quad \implies \quad \mathrm{d}x = \frac{1}{2ax}\mathrm{d}y \end{align*}
Damit ergibt sich für das integral
\begin{align*} \int x \mathsf{e}^{ax^2} \, \mathrm{d}x & = \int \frac{1}{2ax} x \mathsf{e}^y \,\mathrm{d}y \\ & = \frac{1}{2a} \int \mathsf{e}^y \,\mathrm{d}y \\ & = \frac{1}{2a} \mathsf{e}^y + C \\ & = \frac{1}{2a} \mathsf{e}^{ax^2} + C. \\ \end{align*}
Zum Abschluss des Kapitels zur Substitution wollen wir noch zwei Beispiele behandeln bei denen man nicht sofort erkennt, dass die Substitution das Mittel der Wahl ist.
Beispiel 4
Wir bestimmen die Stammfunktion zu
\begin{align*} \int \tan(x) \,\mathrm{d}x. \end{align*}
Um das Problem anzugehen schreibt man die Tangensfunktion um. Mit der Substitution
\begin{align*} y = \cos(x) \quad \implies \quad \frac{\mathrm{d}y}{\mathrm{d}x} = -\sin(x) \quad \implies \quad \mathrm{d}x = -\frac{1}{\sin(x)}\mathrm{d}y \end{align*}
ergibt sich
\begin{align*} \int \tan(x) \, \mathrm{d}x & = \int \frac{\sin(x)}{\cos(x)} \, \mathrm{d}x \\ & = \int \frac{\sin(x)}{y} \cdot \frac{-1}{\sin(x)} \mathrm{d}y \\ & = \int \frac{-1}{y} \mathrm{d}y \\ & = - \ln(y) + C \\ & = - \ln(\cos(x)) + C. \\ \end{align*}
Das letzte Beispiel ist ähnlich, allerdings noch ein wenig seltsamer, da man einen Term substituiert, der selbst nicht im ursprünglichen Ausdruck vorkommt.
Beispiel 5
Wir wollen folgendes Integral bestimmen \begin{align*} \int \sin^3(x) \,\mathrm{d}x. \end{align*}
Die vielleicht überraschende Substitution ist:
\begin{align*} y = \cos(x) \quad \implies \quad \frac{\mathrm{d}y}{\mathrm{d}x} = -\sin(x) \quad \mathrm{d}x = -\frac{1}{\sin(x)}\,\mathrm{d}y \end{align*}
Wir nutzen den trigonometrischen Pythagoras \sin^2(x) + \cos^2(x) = 1 bzw. \sin^2(x) = 1 - \cos^2(x) und schreiben \sin^3(x) = \sin(x)(1-\cos^2(x)) und ersetzen das \mathrm{d}x. Damit ergibt sich
\begin{align*} \int \sin^3(x) \, \mathrm{d}x & = \int \sin(x)(1-\cos^2(x)) \, \mathrm{d}x \\ & = \int \sin(x)(1-y^2) \cdot \frac{-1}{\sin(x)} \mathrm{d}y \\ & = \int (y^2 - 1) \, \mathrm{d}y \\ & = \frac{1}{3} y^3 - y + C \\ & = \frac{1}{3}\cos^3(x) - \cos(x) + C. \end{align*}
